Im Spiel geht es um Heinrich VIII. Tudor. War das nicht der mit den 6 Frauen? Genau der! Und diese Frauen bilden im Spiel auch ein zentrales Element: den Rundenanzeiger.
Damit haben sie es immerhin besser getroffen als der erwähnte Heinrich, denn der spielt im Spiel außerhalb der Anleitung und des Textes auf der Schachtelrückseite überhaupt keine Rolle. Das Thema scheint also wie in so vielen Eurogames mal wieder nur vorhanden zu sein, damit man ein schönes Cover malen kann. Naja nicht ganz. Neben Heinrichs Frauen verbindet man mit dem Namen Tudor schließlich vorallem Intrigen und den Kampf um Einfluss im königlichen Hofstaat. Und die setzt das Spiel zumindest in einigen Szenarien ziemlich passend um.
Was machen wir eigentlich im Spiel? Tudor ist im Prinzip ein klassisches Workerplacement-Spiel, das jedoch – sehr minimalistisch – mit nur 3 Aktionsfeldern auskommt. Jedes dieser Aktionsfelder bietet 2 unterschiedliche Aktionen und je nach Spielerzahl Platz für 3-5 Höflinge und 1 oder 2 Lords. Es gibt also zwei unterschiedliche Worker-Typen. Die Höflinge ermöglichen uns eine der beiden Aktionen des Raums auszuführen und bleiben dabei von Runde zu Runde auf ihrem Platz sitzen, bis sie von Neuankömmlingen von ihren Plätzen verdrängt werden. Die Lords hingegen können beide Aktionen des Raums nutzen und werden jede Runde neu eingesetzt.
Unsere Aktionen nutzen wir im Wesentlichen um unsere Familienangehörigen im Thronsaal nach oben zu bewegen. Entweder mit farblich zum jeweiligen Feld passenden Karten, die wir uns wiederum mit anderen Aktionen besorgen können, oder in dem wir unsere Privilegien nutzen. Diese Privilegien werden durch 7 verschieden farbige Ringe symbolisiert, die wir auf die Hand an unserem Sichtschirm stecken können. Je nachdem wo die Ringe stecken können wir zudem eine oder mehrere der 6 Grund-Aktionen verstärken. Immer wenn wir die höchste Stufe einer Spalte im Thronsaal erklimmen, nehmen wir das entsprechende Amt ein und bekommen ein neues Privileg – also einen neuen Ring. Jeder weitere Ring macht uns flexibler und gibt uns außerdem die Möglichkeit mehr Aktionen zu verstärken.
Und wozu das alles? Natürlich um am Ende die meisten Siegpunkte zu haben. Doch für das Bewegen im Thronsaal und damit verbundene einsammeln der ausliegenden Staatsgunstplättchen, sowie selbst das Erwerben weiterer Privilegien bekommen wir erstmal keine Punkte. Und damit kommen wir zur eigentlichen Stärke des Spiels.
Wofür es überhaupt Punkte gibt wird durch 2 variable Wertungskarten festgelegt, die in jedem Spiel anders sind. Empfohlen wird anfangs eine Wertungskarte zu nehmen die Punkte für bestimmte eingesammelte Staatsgunstplättchen gibt und eine mit einer speziellen Wertung. Dabei gibt es z.B. Punkte für Mehrheiten in den jeweiligen Spalten des Thronsaals, für das Entsenden der Familienangehörigen als “Diplomat im Ausland” oder für das Einnehmen der Ämter am Hof. Später kann man auch 2 Wertungen aus der selben Kategorie wählen.
Dazu kommt noch jeweils eine variable Situationskarte die spezielle Aktionen mit den eingesammelten Einfluss- und Intrigenmarkern (werden ebenfalls durch Bewegung im Thronsaal eingesammelt) ermöglicht. Diese Sonderaktionen sind z.T. sehr stark. So kann man z.B. gegnerische Familienangehörige aus dem Thronsaal entfernen oder bekommt zusätzliche Bewegungen im Thronsaal.
Den Eye-Catcher mit dem Tudor sofort auffällt – die Hand-förmigen Sichtschirme mit den Ringen – habe ich nun noch garnicht näher erwähnt. Das liegt hauptsächlich daran, dass sie in meinen Augen ein unnötiges Gimmick sind. Die Ringe sind dabei noch gut gelungen und es macht auch Spaß sie auf die eigenen Hand zu schieben. Die Sichtschirme hingegen sind für mich komplett misslungen. Zunächst mal habe ich noch nicht eine einzige Partie erlebt in der nicht mindestens ein Sichtschirm umgefallen ist und für Chaos auf dem Spielbrett gesorgt hat. Die Dinger sind viel zu wackelig. Außerdem versperren sie oft die Sicht auf das Spielbrett, weil sie eben so hoch sind. Die innen aufgedruckte Spielerhilfe, die vorallem für die Verstärkung der Aktionen wichtig ist, ist zudem so unübersichtlich und klein, dass man den Sichtschirm jedes mal wegdrehen und ins Licht halten muss, wenn man etwas nachgucken will. Gottseidank sind die Sichtschirme der einzige große Kritikpunkt am Material. Der Rest ist qualitativ völlig in Ordnung. Das Inlay ist sogar besonders positiv hervorzuheben – es ist sinnvoll aufgeteilt und es fliegt nichts durch den Karton wenn man alles richtig verstaut.
Fazit: Tudor ist ein typisches Kennerspiel mit zugänglichen Regeln, aber einer gewissen Spieltiefe. Die Anpassungen an die Spielerzahl sind gut gelungen, so das ich das Spiel in jeder Spielerzahl empfehlen kann. Der Worker-Einsetzmechanismus ist durch das Rauswerfen der Höflinge und das Aktivieren der Räume durch die Lords ungewöhnlich und relativ interaktiv. Die eigentlichen Aktionen dagegen bieten eher wenig Neues. Das einsammeln von Karten verschiedener Farben um damit irgendwo Bewegungskosten zu zahlen hat man nun schon in unzähligen Spielen gesehen und wirkt auf mich fast ein wenig langweilig. Die Würze kommt jedoch durch die unzähligen Kombinations-Möglichkeiten aus Wertungs- und Situationskarten ins Spiel. Jede Kombination bietet ihre neuen Herausforderungen und bietet zum Teil auch ein drastisch anderes Spielgefühl. Sicherlich funktioniert nicht jede Kombination gleich gut. Einige sogar richtig schlecht, da z.B. der Startspieler-Vorteil viel zu stark ist. Besonders die Spiele in denen durch die Auswahl eine noch höhere Interaktion gegeben war haben mich aber von Tudor überzeugt.